Teil 19:
Als die junge Gräfin am nächsten Morgen auf ihrem Sofa erwachte, war das Erste was sie spürte ein fürchterliches Dröhnen in ihrem Kopf. Bei dem Versuch aufzustehen wurde ihr schwindelig, aber sie schaffte es irgendwie bis ins Badezimmer zu kommen, wo sie sich prompt übergeben musste. Rebecca hatte sich lange nicht mehr so mies gefühlt und insgeheim schwor sie sich nie wieder dieses Teufelszeug zu trinken. Gestern jedoch war ihr alles egal gewesen, in dem Bewusstsein, dass sie es womöglich nicht schaffen würde Marlene davon zu überzeugen, dass Isabelle gelogen hatte, erschien ihr der Alkohol als einziges Mittel gegen die Angst. Jetzt bekam sie die Strafe dafür, aber auch das war ihr egal. Marlene hatte ihr gestern mitgeteilt, dass sie über Nacht bei ihrer Familie bleiben würde und Rebecca fragte sich, ob sie überhaupt wieder zu ihr zurück kehrte. Sie konnte ihre Freundin verstehen, die Geschichte von Isabelle war glaubwürdig und sie hatte es so geschickt eingefädelt, dass es für Marlene so aussehen musste, als hätte Rebecca sie betrogen. Am Ende ihrer Kräfte lehnte sie sich über das Waschbecken und spülte sich den Mund aus. Von dem starken Menthol Geschmack wurde ihr direkt wieder schlecht, doch zum Glück musste sie sich nicht erneut übergeben. Sie kroch in die Dusche, drehte den Hahn auf und zuckte zusammen, als das eiskalte Wasser sich von oben auf sie ergoss.
„Schatz, jetzt iss doch bitte wenigstens eine Kleinigkeit. Es wird nicht besser, wenn Du anfängst Hunger zu leiden.“ Thomas sah seine älteste Tochter besorgt an, die ihm voller Kummer gegenüber saß, aber einfach nicht damit raus rücken wollte, was gestern passiert war. Marlene schob den Teller weg „ich kriege nichts runter Papa, also lass es bitte gut sein. Wenn ich Hunger habe, dann esse ich schon, ich bin ja schließlich kein kleines Kind mehr.“ Thomas versuchte es mit ein bisschen Humor „für mich wirst Du immer mein kleines Mädchen bleiben, ganz egal wie alt Du bist. Und wenn ich sehe, dass Du leidest, dann kann ich nicht anders, als mit Dir zu leiden und mir Sorgen zu machen. Warum sagst Du mir nicht, was passiert ist? Vielleicht kann Dein alter Vater Dir ja mit seiner Lebensweisheit helfen. Oder zur Not auch mit der altbewährten Kettensäge, falls erforderlich, das hat bislang noch meistens geholfen.“ Marlene musste gegen ihren Willen lächeln, das war so typisch für ihren Vater. Irgendwie bekam er es immer hin, dass die lachen musste, ganz egal, wie mies es ihr ging. „Na also, es geht doch. Du gefällst mir viel besser, wenn Du lächelst mein Schatz. Willst Du mir nun sagen, was Dich so bedrückt?“ Sie schüttelte den Kopf, die ganze Nacht hatte sie sich den Kopf zerbrochen und am Ende kam sie immer wieder zu dem selben Ergebnis. Sie traute Rebecca ein solches Verhalten einfach nicht zu, besonders nach den letzten Tagen, die so schön waren, konnte sie nicht glauben, dass ihre Freundin sie die ganze Zeit über eiskalt belogen hatte. Trotzdem gab es keine logische Erklärung dafür, dass Isabelle sich so etwas ausdachte. Abgesehen davon, dass sie nicht bemerkt hatte, dass Marlene ihr Gespräch mit anhörte, wusste Isabelle ja nicht einmal, dass Rebecca mit ihr zusammen war. Es war zum verrückt werden, wie sie es auch drehte und wendete, es blieben immer Restzweifel und die machten es unsagbar schwer für Marlene klar zu denken. Ihr Vater riss sie aus ihren Gedanken „Marlene? Was ist denn nur los? Ich mache mir wirklich Sorgen, Du stehst ja völlig neben Dir.“ Sie versuchte es zu überspielen „ich weiß Papa, aber Du kannst mir dabei leider nicht helfen. Ich muss mir über etwas klar werden und mich entscheiden zwischen dem, was mein Herz mir sagt und dem, was in meinem Kopf vor sich geht...“ Thomas sah sie an und in diesem Moment ahnte er worum es hier gehen könnte „wenn es um die Liebe geht, ist der Kopf nicht immer ein guter Berater und manchmal macht er alles nur noch schlimmer. Aber eines ist klar Marlene, eine Beziehung funktioniert nicht ohne Vertrauen. Und wenn Du ihr nicht vertraust, worüber denkst Du dann noch nach? Was immer da zwischen Euch vorgefallen ist, Du solltest dringend mir ihr reden. Sich zu verkriechen und Trübsal zu blasen hat noch niemandem geholfen.“ Marlene wusste, dass er recht hatte und abgesehen davon hielt sie es ohnehin kaum noch aus, sie musste unbedingt mit Rebecca sprechen. Sie stand auf, gab ihrem Vater einen Kuss auf die Wange und sagte „danke Papa“, bevor sie schnellen Schrittes die Wohnung verließ. Thomas schüttelte den Kopf und biss in sein Brötchen, wieder einmal saß er alleine am Frühstückstisch und fragte sich, ob er jemals würde aufhören können sich um seine Mädels zu sorgen.
„Rebecca?“ rief Marlene, als sie die gemeinsame Wohnung betrat „bist Du da?“ Sie ging zur Couch auf der offenbar ihre Freundin geschlafen hatte und zog fragend ihre Stirn in Falten. Es war totenstill in der Wohnung und als ihr Blick auf den Couchtisch fiel und sie die halb leere Flasche Whisky sah, bekam sie plötzlich ein ungutes Gefühl. Aus einem Impuls heraus ging sie als erstes in das Gästebadezimmer und war schockiert als sie ihre Freundin sah. Rebecca saß voll bekleidet in der Dusche, sie war klatsch nass, hatte die Augen geschlossen und rührte sich nicht. Marlenes Herzschlag setzte fast aus, sie ging zu ihr und nahm ihr Gesicht in die Hände, es war eiskalt „Rebecca, kannst du mich hören? Bitte sag doch was.“ Sie schüttelte sie leicht und als Rebecca endlich die Augen öffnete und sie ansah fiel ihr ein Stein vom Herzen „Gott sei Dank, was machst Du denn hier? Du bist eiskalt und holst Dir noch den Tod. Komm, Du musst dringend aus den Klamotten raus.“ Sie half ihrer Freundin aufzustehen, die sichtlich Probleme hatte das Gleichgewicht zu halten. Marlene führte sie zum Sofa und half ihr aus den nassen Sachen, dann deckte sie Rebecca zu und lief nach oben, um ihr frische Kleidung zu holen. Als sie wieder zurück war, gab sie Rebecca die Sachen und ging in die Küche. Sie kam mit einer heißen Tasse Tee zurück, Rebecca hatte sich inzwischen angezogen, schien aber immer noch zu frieren. „Hier, trink den, dann wird Dir gleich wärmer“ sagte Marlene, setzte sich neben die junge Gräfin und legte ihr die Decke um die Schultern. Rebecca war offenbar wieder einigermaßen zu sich gekommen, denn sie sah Marlene jetzt an und sagte „danke...ich bin so froh, dass Du da bist. Es tut mir leid, ich wollte mich nicht so betrinken, aber irgendwie ist gestern einfach alles außer Kontrolle geraten...“ Sie fing leise an zu weinen und Marlene konnte nicht anders, als sie in die Arme zu nehmen „schon gut, ich bin ja jetzt da.“ Sie hielt Rebecca fest und streichelte ihr beruhigend über den Rücken. Als sie sich wieder gefangen hatte, löste Marlene die Umarmung und sah ihrer Freundin in die Augen. „Ich möchte Dich etwas fragen und Du musst mir versprechen, dass Du ehrlich zu mir bist, ganz egal, was Deine Antwort für uns bedeuten könnte.“ Rebecca nickte, sie wusste welche Frage kommen würde und da sie nichts zu verbergen hatte, konnte sie Marlene guten Gewissens in die Augen sehen „ich verspreche es“ sagte sie und sah ihre Freundin abwartend an. Marlene kämpfte mit sich, sie hatte sichtlich Mühe die Frage über die Lippen zu bekommen „ist an dem was Isabelle gesagt hat irgendetwas dran? Hast Du Dich vielleicht aus Enttäuschung auf sie eingelassen, oder warst Du betrunken? Bitte Rebecca, sag mir die Wahrheit, ich muss es wissen...“ Ihre Stimme war brüchig und als sie merkte, dass ihr die Tränen kamen, schaute sie nach unten. Rebecca legte ihr sanft eine Hand unter das Kinn und brachte sie dazu ihr wieder in die Augen zu sehen, dann sagte sie „nein Marlene, nichts davon ist wahr. Alles was Isabelle gesagt hat ist gelogen.“ Sie strich ihrer Freundin eine Träne aus dem Gesicht und als sie spürte, dass Marlene sich etwas entspannte fügte sie hinzu „es war genau so, wie ich es Dir erklärt habe. Ich saß alleine an der Hotelbar, sie hat mich angesprochen und ich habe mich von ihrer lockeren Art ein bisschen ablenken lassen. Wir haben uns unterhalten, sie hat mir einen Drink spendiert und als sie mich dann später fragte, ob ich mit auf ihr Zimmer gehe, habe ich ihr freundlich, aber bestimmt zu verstehen gegeben, dass ich kein Interesse habe. Marlene, ich liebe Dich und ich würde Dir niemals vorsätzlich weh tun, genau so wenig, wie Du mir. Und Dir tagelang ins Gesicht lügen, als wäre nichts geschehen könnte ich auch nicht. Sie mir in die Augen Marlene und sag mir, ob Du wirklich glaubst, dass ich dazu in der Lage wäre?“ Ihre Freundin schüttelte leicht den Kopf als sie sagte „nein, das glaube ich nicht. Aber ich verstehe einfach nicht, warum Isabelle das tut? Hast Du eine Erklärung dafür?“ Rebecca war unendlich erleichtert „nein, ich verstehe es auch nicht, aber ich werde es herausfinden, das verspreche ich Dir. Wir dürfen nicht länger zulassen, dass irgendwelche Menschen versuchen sich zwischen uns zu drängen. Bitte hab vertrauen in uns Marlene. Ich liebe Dich...“ Marlene schluckte schwer, Rebecca hatte recht, das musste aufhören. Sie wünschte sich so sehr die unbeschwerte Zeit zurück „ich liebe Dich auch...“ flüsterte sie, bevor beide von ihrer Sehnsucht übermannt wurden und sich einem leidenschaftlichen Kuss hingaben. Das Verlangen nacheinander ließ alles andere in den Hintergrund rücken. Die beiden Frauen entledigten sich ihrer Kleider, krochen unter die Decke und liebten sich, wie es nur zwei Menschen tun konnten, die tief miteinander verbunden waren. Jede kannte die andere, wie sich selbst und am Ende fanden beide nicht nur die lang ersehnte Erlösung, sondern auch das Vertrauen ineinander wieder.
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