20.
Es war spät als es läutete. Gabriel lag bereits in seinem Bett. „Heute wird etwas passieren.“ – meinte er, als ich kurz vor 22Uhr in sein Zimmer schaute. Ich hatte die Beine hochgelegt. Hatte mich zurück zu ihr gewünscht, meine Augen geschlossen… den Kuss auf meinen Lippen gefühlt. Er lag neben mir auf dem Sofa, schaute Fußball, trank das vierte Bier. Ich stöhnte, … wollte nicht aufstehen, wollte weiter in meinen Erinnerungen reisen, weiter in meinen Fantasien ihren Körper entdecken.
Ich berührte die Klinke!
„Guten Abend, entschuldigen Sie die späte Störung.“ – seine Mütze hatte er abgenommen. Auch die Handschuhe hatte er abgelegt, als er mir die Hand zur Begrüßung entgegen streckte.
„Ist Lars da?“ „Ja ist er. Gibt es ein Problem.“ – ich hörte Schritte auf der Treppe. Schaute mich jedoch nicht um.
„Ich muss mit ihm sprechen.“
Nun hatte auch er sich aufgerafft und sich von seinem Bier getrennt.
„André. Was gibt es zu so später Stunde.“ „Lars ich weiß nicht was ich sagen soll. Nie hätte ich gedacht, dass ich so etwas Mal zu einem Kollegen sagen würde. Du bist festgenommen- wegen Mordes an Johannes von Lahnstein. Saubere Arbeit mein Freund. Alle haben dir geglaubt. Du kennst das Spiel. Du hast ein Recht auf einen Anwalt. Jedoch werde ich dich jetzt mitnehmen müssen. Alles was du jetzt sagst, kann und wird gegen dich verwendet werden. Und glaube mir, ich würde ohne zu zögern gegen dich aussagen.“Ich stand wie versteinert. All meine Glieder erstarrten. Er wehrte sich nicht. Keinen Ton sagte er mehr. Die ganze Zeremonie dauerte keine 5 Minuten. Mir kam es vor, als gab mir irgendeine höhere Gewalt mein halbes Leben zurück. Die Tür fiel ins Schloss. Benommen laufe ich zurück in die Küche. Drehe den Hahn auf. Trinke große Schlücke. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Gabriel saß auf dem Fensterbrett, schaute runter zur Straße.
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„Sie hatten sich gut gekannt. Vater hatte Spielschulden und wollte ihn darum bitten ihm Geld zu leihen. Doch er weigerte sich. Er drohte ihm. Irgendwann im Suff fuhr er hoch nach Königsbrunn. Traf dort die Schöne Gräfin, die er mit seiner widerwärtigen Art schockierte. In dieser Nacht ist es passiert. Er wartete bis die Gräfin aus dem Haus war. Dann hat er ihn erschlagen. Nicht erstochen, nicht erschossen, nicht erwürgt. Erschlagen, mit einer Eisenstange. Die Obduktion hat er geschmiert. Die Protokolle hat er gefälscht. Hat sich bevor er ihn erschlug, noch den Code für den Tresor geben lassen. Hat alles so aussehen lassen, als wäre es die Gräfin gewesen.“ „Woher wusstest du…“ „Das war nicht schwer, er hat sich selbst verraten. Seit der Mordnacht hat er alles. Er hat sogar einen neuen Wagen. Ich weiß es schon lange. Und ich fühle mich gut mit dem Gedanken, dass ich meinen eigenen Vater verraten habe.“ „Aber du kennst die Gräfin nicht…“
„Nicht die Gräfin, aber ihren Freund Ben. Ich traf ihn eines Nachmittags vor dem Gefängnis. Er saß auf dem Bordstein. Ich ging rüber. Er erzählte mir von der Gräfin. Plötzlich viel mir die Akte der Frau ein. Die Lückenhafte. Ich ging zu Vater. Er gab mir mehrere Ohrfeigen. Meinte ich solle mich nicht einmischen. Und ich hätte meine Chance gehabt. Ich solle verschwinden. Darauf hin war mir alles klar. Die Obduktion hat gestanden. Damit habe ich nichts zu tun. Ben hat nie erzählt wie er das hinbekommen hat. Das Material habe ich dem Richter übergeben. Und ich werde aussagen.“
„Ich habe deinen Schlüssel genommen. Ich wusste dass du zu einer Mandantin gehst. Ich brauchte noch einmal die Akte um ihn zu überführen.“
Er sprang vom Fensterbrett. Legte einen Schlüssel, einen Briefumschlag und einen roten Zettel auf den Tisch.
„Geh noch heute Nacht zu dieser Adresse. Später bevor du zu Bett gehst, öffne den Briefumschlag.“
Dann verschwand er. Ohne das ich ihn umarmen konnte. Ohne das ich nur ein Wort sagen konnte. Dieser Junge machte mich sprachlos. Diese Geschichte verwirrte mich. Doch ich war glücklich. Er wusste nicht, was er das für mich getan hat. Er rettete mir das Leben.
Ich öffnete die Tür zu der PianoJazz Bar.
Konnte sie gleich sehen, als ich meinen Blick hinein warf. Sie saß an der Bar. Hatte einen Whiskey in der Hand. Das schwarze Kleid formte ihre Figur wie die in meinen Fantasien. Die Beine hatte sie überschlagen. Sie zog hastig an einer Zigarette.
Ich lief zu ihr rüber. Stand noch eine Weile hinter ihr. Betrachtete ihren Rücken, der frei von Stoff glänzte. Ihr Haar war zu einem Knoten gebunden.
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„Eine Sekunde … Ihr Parfüm … ich würde Sie meilenweit an Ihrem Parfüm erkennen.“
Sie schaut weiter auf ihr Whiskeyglas.
„Mögen Sie das Piano?“
Erst jetzt wendet sie ihren schlanken Körper. Dreht sich auf dem Stuhl. Blickt mir tief in die Augen.
„Kennen Sie einen Jungen namens Gabriel?“ „Ja- das ist mein Sohn.“ – er war nicht mein leibliches Kind. Doch ich liebte ihn, mehr als alles andere auf dieser Welt. Ich würde ihn niemals allein lassen. Ich schwor mir in dieser Nacht, ihn mit mir … , alles auf mich zu nehmen, damit er bei mir bleiben durfte.
„Was bedeutet eine Sekunde für Sie?“ – fragte sie. In keinem Menschenauge hatte ich zuvor so eine Zufriedenheit erkennen können.
Ich antwortete nicht! War betört von ihrer Schönheit.
„Möchten Sie wissen, was eine Sekunde für mich bedeutet? Ich erinnere mich an Zeiten in meinem Leben, in denen mir solche Fragen mehr als gleichgültig waren. Ich erinnere mich wie ich über solch eine Frage damals gelacht hätte. Lächerlich. Warum sollte ich mir über eine Sekunde Gedanken machen. Das ist sie nicht wert. Die Sekunde ist vergangen, wenn ich den Gedanken noch nicht einmal gefasst habe. Heute weiß ich was sie mir bedeutet. Sie ist das einzige was zählt. Niemand hat die Minuten verdient, der die Sekunde nicht ehrt. Das habe ich nicht nur einmal in meinem Leben begriffen. So etwas begreift man erst, wenn einen die Sekunden genommen werden. Oder wenn sie stehen bleiben und man nicht weiter kommt. Denn wenn die Sekunde stehen bleibt, bleibt auch die Minute stehen, dann die Stunde, der Tag, die Woche. Die Sekunde in der ich den Entschluss faste, nicht aufzugeben. Jetzt weiß ich wofür. Die Sekunde in der sich mein Leben veränderte – die in der ich Ihnen begegnen durfte. Ich bin dankbar. Denn nun weiß ich, was eine Sekunde für mich bedeutet. Sie ist der Genuss. Der Morgen, das Glück. Sie ist es, die uns zur nächsten Sekunde bringt. Sie ist es die alles besser macht, wenn wir verzweifeln. Wenn wir leiden. Sie bringt uns zum nächsten Schritt, zur nächsten Herausforderung. Zum nächsten Lächeln, zum nächsten Kuss.“ – sie zwinkert „…zum nächsten Schluck“ – sie nippt an ihrem Whiskey „…zum nächsten Herzschlag“. Sie legt meine Hand vorsichtig an ihr Herz.
„Verstehen Sie was ich meine?“
Ich nicke. Sie zieht mich an sich. Küsst sanft meine Lippen. Er Whiskey mischt sich mit ihrer süßen Zunge.
„Ohne diese Sekunde, wüsste ich nicht wie ich weiter überleben sollte.“
„Verraten Sie mir Ihren Namen?“
„Stella“ – flüstere ich, nachdem ich mich wieder sammelte.
„Wäre diese Sekunde nicht, würde ich noch immer vergebens den schönsten Stern am Himmel suchen. Ohne zu wissen das er hier auf Erden genau vor mir steht.“
Ich konnte in dieser Nacht nicht beschreiben was mir eine Sekunde bedeutet. Ich vergaß an ihrer Seite Raum und Zeit. Später öffnete ich den Briefumschlag von Gabriel. Ich zog den Zettel heraus.
„Sekunden bedeuten ALLES. In ihr verändert sich alles. Jede Bewegung, jedes Bild, jede Melodie.“
Ende
_________________ PLUS Mademoiselle chapeau - PLUS Mademoiselle COCO
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