Kapitel 86: Going under
... wie von sinnen wühlte sie in der schulbade, aber sie fand den brief nicht. sie überlegte fieberhaft. wo hatte sie ihn hingetan? hatte sie ihn doch weggeworfen? dann fiel es ihr wieder ein. sie hatte ihn in ihrer aktentasche in dem kleinen innenfach. es klang verrückt, aber so hatte sie einen teil von ansgar immer bei sich, zumindest kam es victoria so vor. in diesem fach war nicht nur der brief, sondern auch noch ein foto von ansgar. victoria hatte in den wenigen wochen ihrer beziehung kein einziges foto gemacht. ansgar hatte im teneriffa urlaub mit seiner digitalkamera dagegen sehr viele fotos gemacht, die er anschliessend auf seinen rechner zog. victoria hatte nicht darüber nachgedacht, diese bider auf ihr notebook zu kopieren, aber das war auch egal, denn sie hätte sich diese sowieso nicht ansehen können. das bild, was sie von ansgar hatte, hatte ihr dana geschickt. victoria wusste nicht woher ihre tochter es besorgt hatte. victoria hatte sich ihrer tochter anvertraut und sie gebeten ihr ein bild von ansgar zu senden. als es per post zu ihr kam, stockte victoria der atem. es war das bild von der kommode im salon wo alle bilder der familienmitglieder standen. dana hatte es einfach aus dem rahmen herausgenommen. als sie ihre tochter am telefon sprach, hatte victoria ihr die hölle heissgemacht. "sag mal spinnst du?" „wieso, mama, du wolltest ein bild von ansgar, du hast ein bild von ansgar. so einfach ist das.“ „ja, aber das fällt doch auf“, schimpfte victoria, ansgar weiss doch dann sofort dass…“ „ach, papperlapp“, hatte dana geantwortet, „und wenn schon. soll er es doch wissen.“ damit war die sache für dana erledigt, und victoria hatte nichts mehr gesagt.
victoria öffnete den reissverschluss des innenfachs ihrer aktentasche und entnahm den brief. sie zögerte. sollte sie ihn wirklich lesen? würde sie das schaffen? dann riss victoria den umschlag mit einem ruck auf und entfaltete den innenliegenden briefbogen. ihr herz raste, und sie bekam kauf noch luft als sie anfing zu lesen.
liebe victoria,
da du keinen meiner anrufe beantwortest, versuche ich es auf diese weise. ich weiss, du hast mir am telefon schon gesagt, dass es vorbei ist, und ich muss das wohl oder übel akzeptieren, auch wenn ich das nicht will.
du hast mir am telefon gesagt, dass du mich nicht verlassen hast weil du mich nicht liebst, sondern weil ich dir nicht die wahrheit gesagt habe. du hast recht, ich habe mich falsch verhalten. ich habe nach so kurzer zeit in der wir zusammenwaren, mal wieder nicht die finger vom machtkampf und dem intrigenspiel lassen können. du hast mir gesagt, dass ich nur hätte mir dir reden müssen, dann hättest du einen weg gefunden, damit klarzukommen. aber mal ehrlich, hättest du das wirklich? wärst du wirklich damit klargekommen, dass ich tanja manipuliert habe? ich kenne dich, victoria, du bist ein guter mensch, hättest du das wirklich mit deinem gewissen vereinbaren können, dass tanja vielleicht ins gefängnis gegangen wäre? ich glaube nicht. das ist keine anschuldigung, sondern nur ein versuch, dir zu erklären, warum ich geschwiegen habe. victoria, ich habe in meiner ehe und meinen beziehungen immer wieder fehler gemacht, und die frauen in meinem leben haben versucht wegzusehen, wenn meine dunkle seite zum vorschein kam, aber sie haben es alle nicht ausgehalten auf dauer. verstehst du, warum ich dir nichts gesagt habe? und wenn du dich jetzt fragst, warum ich das alles tue, warum ich nicht die finger von diesem spiel mit der macht lassen kann, so kann ich dir das nicht einmal beantworten.
erinnerst du dich, wie ich dir in zürich sagte, „es gibt diese seite in mir, victoria?“ damit habe ich die andere seite in mir gemeint, die fähig ist zu lieben, die seite, die sensibel ist und liebevoll. aber es gibt auch die andere, dunkle seite. ich habe dir immer und immer wieder gesagt, dass sie ein teil von mir ist, dass ich sie nie ganz los werde, und du hast mir versichert, dass du mit ihr leben kannst, dass du mich nicht ändern willst. ich weiss, es ging dir um die wahrheit, die ich dir verschwiegen habe und um das vertrauen, dass ich dir entzogen habe. und ja, du hast recht, ich habe die sms an thomas geschrieben. es war die „letzte chance“ von der ich sprach. du wusstest es, hast es bis zum letzten tag nicht angesprochen. ich rechne dir das hoch an, dass du mir keinen strick draus gedreht hast, weil ich glaube, dass du verstanden hast, dass ich nicht anders konnte. ja, und wenn ich dir jetzt sage, auch du hast gelogen, immer und immer wieder, so entspricht das der wahrheit. du hast deinen mann achtzehn jahre lang belogen, mich achtzehn jahre in der unwissenheit gelassen, dass ich eine tochter habe, du hast deinem mann wochenlang die affäre mit mir verschwiegen, hast ihn belogen und betrogen, hast mich hingehalten, wo ich dich immer wieder gebeten habe, zu mir zu stehen. war das wirklich so viel anders als das was ich getan habe???
ich habe tanja in ihre schranken weisen wollen, weil es mir wehgetan hat, wie sie dich behandelt hat. ich habe gewusst, dass es dich belastetet, wie sie dir entgegentrat, darum habe ich mich dazu entschlossen, ihr ein klein wenig auf die finger zu klopfen. das ist dann alles aus dem ruder gelaufen, ich war dann wie venarrt in meinem hass auf sie. tanja ist übrigens wieder mit sebastian zusammen, er hat ihr noch eine chance gegeben.
das alles ist keine entschuldigung, aber vielleicht eine erklärung? ich habe mir in den letzten drei wochen jeden tag gewünscht, es wäre anders gekommen, und wir wären noch zusammen. jeden tag der letzten drei wochen hab ich dich vermisst, und wenn ich in meinem bett liege, dann ist der gedanke an dich übermächtig. ich bin nicht der typ, der frauen hinterherläuft, das weisst du, aber bitte glaube mir, wenn ich sage, dass meine gefühle für dich in jeder sekunde, die wir zusammenwaren zu 100 prozent ehrlich waren, alles was ich gesagte habe, habe ich so gemeint. victoria, ich wollte mein leben mit dir teilen, und ich weiss, dass wolltest du auch. um so schwerer fällt es mir einzusehen, dass ich versagt habe, dass ich es wieder nicht geschafft habe, das glück festhalten.
victoria liess den brief sinken. sie konnte nicht mehr. unaufhörlich liefen ihr die tränen über die wangen, und sie schluchzte. doch sie musste auch noch den rest lesen. es ging nicht anders. sie musste wissen, was ansgar noch geschrieben hatte.
als ich dir den heiratsantrag machte, so ist es dir sicherlich sehr schnell vorgekommen und vielleicht auch ein wenig ungewöhnlich, aber ich fühlte einfach, dass du die frau bist, auf die ich mein leben lang gewartet habe. vielleicht habe ich es schon vor zwanzig jahren gewusst als wir uns das erste mal trafen. und ich fühle noch immer so. du bist die frau, die mein leben hätte verändern können, mit der ich vielleicht ein besserer mensch hätte werden können. aber der traum ist zerplatzt. vielleicht hat ein ansgar von lahnstein einfach kein dauerhaftes glück verdient.
wieder schluchzte victoria auf. was musste es ansgar schwergefallen sein, diese worten an sie zu richten. seine worte berührten sie so sehr.
alles was ich möchte, victoria ist, dass du die zeit mit mir in guter erinnerung behältst und dass du nicht schlecht von mir denkst. das ist mir wichtig. die wochen mit dir waren die schönsten in meinem leben, und ich werde sie nie vergessen. wo auch immer du bist, ich wünsche dir von herzen alles gute.
ansgar
Fortsetzung folgt..
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